Dieser Blog erzählt die Geschichte von drei Handvoll Erde und und ihrer Reise durch ein Jahrhundert.

Dienstag, 4. Februar 2014

Europäisches Geschichtsdoping

Auf jeden Toten kommen 12 Touristen
Ypern 2014
Auf jeden Touristen kommen 12.000 Tote
Syrien 2014

Historische Kriegstote sind Europäisches Geschichtsdoping. Der gefallene Soldat dient weiter als kriegsauslösendes oder friedensstiftendes Motiv politischer Interventionen. Die präzise Erinnerung an Täter und Opfer erscheint als ebenso lästiger wie notwendiger wiederkehrender hundertjähriger Zeitspasmus unserer gemeinsamen Gegenwärtigen Vergangenheiten.

Albert Mayer und Jules André Peugeot - die ersten beiden deutschen und französischen Toten von 1914.

Verbringe eine weitere durchwachte Nacht mit dem Zweifel an meinem Mayer und seinem Peugeot - am Sinn einer künstlerischen und historischen Auseinandersetzung mit den ersten beiden deutschen und französischen Toten von 1914. Einmal eingeschlafen, wieder aufgewacht mit einem klaren Gedanken, den ich hier nur ungenau konstruieren kann.

Der ganze erste Große Krieg wirkt als ein wertvolles Europäisches Geschichtsdoping  - Fraglich nur, wohin uns die Inszenierungen und der weitverbreitete Geschichtskonsum dieser Erinnerungen führen werden? Ist es Karneval, wenn am 14. Juli 2014 auf dem Champs Elysees 70 Nationen in historischen Uniformen aktuelle Beine bekommen werden? Wohin geht Europa? Zu den nicht gegründeten Staaten des Friedens von Versailles von 1919 und Sèvre 1920? Zur Ukraine von 2014, zum Kurdistan von 2099 oder dem Syrien von Homs, von heute morgen? Welche Pläne werden geschrieben?

Wie zivil fällt die Erinnerung an den militärischen Imperialismus von 1914 aus? Möchte ich zum Hundertjärhigen Jubiläum des Großen Krieges Uniformen an Gräbern Posaunen spielen sehen? (Und wen interessiert, was ich möchte?) Sollen sie in historischen Kostümen traurige oder fröhliche Märsche blasen? Gibt es einen Zusammenhang von militärischer Ehren der Erinnerung an den Krieg und der neuen Rolle Deutschlands an der Seite Frankreichs in Mali? Mali mir ein kleines Bildchen dazu?

Doch zurück zu Mayer. Seine Erde - der Geschichte des Mißbrauchs der Erinnerung an einen Soldaten, den man ein Tag vor Kriegsausbruch auf Patroullie schickte, um das "Feindesland" zu erkunden und in Joncherey zu töten und getötet zu werden. Seine Graberde wurde 1937 zur Reliquie der Nazis, die mit seiner heroisierenden Verehrung Kinder für den nächsten Krieg gewinnen wollten. Seht hier - Mayers Erde - welch eine Ehre sein wertvollstes - sein Leben für das Vaterland zu geben!

Mayers Erde 40er Jahre

In einem offenen Tontopf zu Enger standen die drei Handvoll Graberde in einem kruden germanischen Kultus in Gemeinschaft mit dem sagenhaften Sachsenkrieger Widukind.

Hinter einem wehrhaften Gitterkorb, an dessen Enden sich dreispitzige Surrogate des "Spanischen Reiters" befanden, wo sich andernortes über den Schützengräben europäische Gedärme bewaffneter Krieger aufspießten.

Spanisches Reitersurrogat
Nichts hatten der Mayer mit dem Widukind - nichts hatte der tote Reiter mit Ostweltfalen am Hute.

Heute ruht Mayers Erde hinter einer doppelten Vergitterung in einem Stahlregal zur Erinnerung an die alte NS Gedächtnis- und Weihestätte für Widukind. Aufbereitet als ein Museumstück des  - im übrigen unbedingt zu besuchenden Widukind Museums in Enger.


Es ist an der Zeit, dem ersten Toten seine Erde zurückzubringen. Eine Erde, die weder heilig noch besonders wertvoll, die einfach nur Graberde vom Einzelgrab 4/181 ist, die 1937 auf eine mißbräuchliche Reise ging, die 2014 wieder auf dem Deutschen Soldatenfriedhof zu Illfurth enden soll.





Als eine Fußnote der Geschichte soll die Grabruhe von Albert Mayer an seinem hundertsten Todestag widerhergestellt werden.

Ohne Posaunen - ohne Soldaten. Still.


Offen für die vielen Millionen Toten:
Wie funktioniert zivile Erinnerung an den soldatischen Tod?

Ruppe Koselleck
für MAYERS ERDE

MAYERS ERDE ist ein Kooperationsprojekt des Onlinepromoventen mit der Universität Osnabrück, Prof. Dr. Andreas Brenne,  dem Widukind Museum Enger sowie Remember 1914-1918

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