100 Jahre nach dem
Tod des Albert Mayer wollte ich in einer
stillen Geste, dem ersten deutschen Gefallenen des ersten Weltkrieges, seine zwischenzeitlich entnommene Graberde zurückbringen. Drei Handvoll seiner "Heiligen Erde" waren von den Nationalsozialisten als eine Reliquie verehrt und zur Förderung der Opferverherrlichung in der Widukind Gedächtnisstätte mißbraucht worden.
Drei Stunden später und 38 km vom Friedhof in Illfurth entfernt, fand in Joncherey ein anderes Erdritual statt. Der Bericht aus Joncherey erscheint ein Monat nach dem Zeremoniel und versucht sich an einer Aufarbeitung des Gesehenen. Bleibt vorläufig und unfertig, ratlos an einem ersten September 2014.
Lange vor der Realisierung meiner persönlichen Geste für einen einzelnen Toten, hatte ich in Deutschland und Frankreich die Orte der historischen Begebenheiten aufgesucht sowie sein
Grab in Illfurth auf dem Deutschen Soldatenfriedhof und insbesondere dort die
"Echtheit" der Graberden untersucht.
Dabei lernte ich Maurice Nicoud - den Bürgermeister von Joncherey - kennen. Diesem erzählte ich von meinem Plan, Albert Mayer seine Erde zurückzubringen, um seine Grabruhe 100 Jahre nach seinem Tod wiederherzustellen. Und brachte ihn auf eine Idee, die eine neues Erdritual bewirken sollte. Dazu später.
Am 2. August 1914 hatte eine Deutsche Patroullie die französische Grenze überquert und war in der Nähe von Delle auf französische Soldaten getroffen. Dort kam es zu einem Gefecht, in deren Folge der erste deutsche und der erste französische Soldat zu Tode kamen.
Bis heute erinnert man alljährlich in Joncherey an die tragischen Ereignisse vom 2. August 1914 mit dem besonderen Augenmerk auch darauf, dass es das imperiale Deutsche Kaiserreich war, welches illegal die Grenze verletzte und damit am Vortag vor der Kriegserklärung die tödliche Begegnung verursacht hatte. Der ermordete Caporal Peugeot erhielt in den zwanziger Jahren ein eigenes Monument, welches von Soldaten der Deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieges zerstört wurde. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Erinnerung an die Deutschen vor Ort nicht ungetrübt erscheint!
Das Originalcappi von Jules André Peugeot ruht bis heute im Rathaus von Joncherey in einem Ehrenraum, wo auch die postmortem verliehenen Orden für den Caporal ausliegen und Fotos die Geschichte dokumentieren. Für das Centenaire plante die Mairie ein
besonderes Ereignis und wollte dabei die Familien der beiden ersten Opfer zusammenführen, auf dass sie sich kennenlernen.
Neben dem üblichen militärischen Zeremoniell, das alljährlich zur Ehren für Peugeot stattfindet, entstand so ein vielteiliges Erinnerungsspektakel, bestehend aus
dem berittenen
Schauspiel in Originaluniformen, das die Ereignisse am Originalort nachstellte,
dem Erdritual, welches die Graberden von Albert Mayer und Jules André Peugeot in einer marmornen Urne vereinen sollte,
dem Aufmarsch von Abgesandten verschiedener militärischer Divisionen und Veteranenverbänden, die zu unterschiedlichen Musiken und Reden den Toten ihre Ehre erwiesen, sowie endlich der Umbenennung einer Straße in Joncherey, die nach dem letzten inzwischen verstorbenen Überlebenden des Ersten Weltkrieges benannt wurde. (Lazare PONTICELLI, le dernier des « poilus » mort le 12 mars 2008)...
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Graberden von Jules André Peugeot (links) und Albert Mayer (rechts) am Monument in Joncherey. |
Schwerpunkt meines Interesses war das Erdritual, welches von zwei Verwandten aus den Familien Peugeot und Mayer vollzogen wurde.
Nach dem Ende des Schauspiels überreichten die beiden Darsteller der Erstgefallenen zwei Angehörigen aus den Familien die Erden in den oben abegebildeten Behältern aus Plastik. Das Ritual wird vor dem Monument des Caporal Peugeot vollzogen, welches in unmittelbarer Nähe des tödlichen Tatortes aufgebaut wurde.
Im Hintergrund hört man Soldaten, die ihre Gewehre präsentieren und man sieht Fotografen und
Filmer, die das Ritual aus nächster Nähe zu dokumentieren beginnen. Sie schieben sich als eine undurchdringliche mediale Folie zwischen die Zuschauer und die Akteure des Rituals. Das Publilkum kann anderntags in den Zeitungen oder schon in den Abendstunden die Ereignisse im Fernsehn
nachsehen.
Veteranen wohnen dem militärischen Zeremoniell bei.
Die beiden Plastikbehälter mit den Graberden werden von den Verwandten der beiden Getöteten langsam in eine Marmorbox hineingelassen - der eine (Mayer) hatte den anderen (Peugeot) erschossen, die befeindeten Toten sind symbolisch vereint, befriedet
- Zeichen eines neues Kapitels deutsch-französischer Freundschaft - aufgestellt am Originalschauplatz ihrer tödlichen Begegnung.
Der Begegnung einer berittenen Patroullie mit einem Vorposten am Ortseingang. Einem Plot aus dem man Drehbücher für einen Western machen könnte - aus dem ein historisches Reinactment erwächst, dass zweisprachig in Deutsch und Französisch kommentiert wird. Der historische Mayer näherte sich dabei mit verdeckter Pickelhaube auf seinem Pferde dem Publikum - sein Pferd scheute - und dann hörte man die Schüsse....
Fragen konnte man nicht Mayer und nicht Peugeot - und antworten konnten die beiden noch weniger. Tote schweigen. Schauspieler spielen. Die beiden gespielten Toten werden in das Gras gelegt.
Dem Spiel folgte die Erdvereinigung der Erstgefallenen und am Ende der Erdvereinigung stand das große Schütteln der Hände. Die überlebenden Angehörigen reichen sich ebenso die Hände, wie die beiden Darsteller der getöteten Protagonisten dieser traurigen Geschichte in einem kleinen Grenzort zwischen dem Kaiserreich und der französischen Republik. Und sie gaben sich ihre Hände einmal und zweimal und noch einmal - für all die Fotos, die dort geschossen wurden.
Die französische Tradition des Gedenkens an den Großen Krieg erscheint als eine ungebrochene und sie versteht sich aus der Perspektive der legitimen Verteidigung des Vaterlandes gegen einen Aggressor. Seit 1914 und vorher schon 1870/71 und länger noch als 1945. Die militärischen Toten werden gemeinsam erinnert - als Gefallene für Frankreich.
Die deutsche Tradition der Erinnerung an den ersten Weltkrieg findet stets im Schatten des zweiten statt - wo sich Kriegsschuld und Verantwortung sehr klar eruieren lassen. Hier wird mit den "Helden" gebrochen und der soldatische Mut verblasst vor der unvorstellbaren Dumm- und Grausamkeit des deutschen Handelns. Der Gefallene ist tragisch - das Gedenken verhalten, zurecht, ...denn was waren die Umstände!
Wenn 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg sich in Joncherey deutsche und französische Angehörige der ersten Gefallenen Soldaten aufeinandertreffen, so geschieht das in einem friedlichen Ansinnen und in einem positiven Gedenken an die vergangene und begrabene Feindschaft zwischen den Nationen.
Wenn allerdings 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg das Gedenken an den Krieg so ungebrochen militärisch stattfindet, so frage ich nach den Millionen folgenden Toten und nach der Verantwortung der Militärs, die über vier Jahre ihre Soldaten in den unsinnigen und nahezu sicheren Tod beim Erstürmen feindlicher Schützengräbe schickten. Das Gedenken an diese grenzenlose und grenzüberschreitende Dummheit suchte ich vergebens zwischen den vielen Uniformen in Joncherey.
Hier scheint mir ein Bruch mit dem militärischen Heldentum angebracht, der sich nicht scheute, wieder und wieder ihre Männer in den Tod zu schicken.
Mein Versuch der Wiederherstellung der Grabruhe von Albert Mayer hatte ein neues Erdritual ausgelöst und nur unter neuem Vorzeichen wurden nun wieder "Heilige Erden" entnommen und so kam es erstmalig zu einer offiziellen Vereinigung von französischen und deutschen Graberden.
Und es lagen am 2. August nur 38km zwischen einer kleiner stillen und einer großen lauten Realisierung denkbar unterschiedlicher Erinnerungsstrategien.
Sehnsucht nach einem zivilem Gedenken stellt sich ein......ein diffuses Gefühl des Scheiterns ebenso. ...und das einer wachsender Ohnmacht, wo das Kriegen in Europa wieder hoffähig zu werden scheint.
Ratlos, am 1. September 2014