Dieser Blog erzählt die Geschichte von drei Handvoll Erde und und ihrer Reise durch ein Jahrhundert.

Mittwoch, 16. Juli 2014

Mayers Erde unterwegs

Auf diesem Blog dokumentiere ich die unterschiedlichen Stationen der seltsamen Reise von drei Handvoll Graberde durch ein Jahrhundert. Nachdem im Jahr 1937 der Kaufmann Wilhelm Ludewig im Auftrag der Widukind Gedächtnisstätte Enger Graberde vom Deutschen Soldatenfriedhof in Illfurth entnommen hatte, wurde die Graberde in einem nationalsozialistischen Kontext zur Heldenverehrung verwendet und in einen diffusen Zusammenhang mit dem Sachsenkrieger Widukind gestellt. Sein germanischer Kampf gegen den Frankenkönig Karls des Großen galt als ebenso vorbildlich wie das erste "Blutopfer" Albert Mayer, der bereits ein Tag vor Kriegsausbruch in Frankreich auf berittener Patroullien tod vom Pferd gefallen war. Der Kult um die "heilige" Erde des Erstgefallenen sollte den jungen Deutschen, einen Heldentod schmackhaft machen, den sie zu lernen hatten, denn der nächste Krieg war längst geplant...

Widukind Gedächtnisstätte, 1939 - Quelle: Widukind Museum Enger
"Solange noch ein einziger Deutscher lebt, stirbt Widukind nicht."  stand in der Nachbarschaft der heiligen Erde geschrieben und eine wehrhafte Tonbüste untermauerte die neue deutsche Volkspädagogik, die mit dem Spruch von Adolf Hitler "Wer seinem Volk so die Treue hielt, soll selbst in Treue nie vergessen sein". Gemeint waren die zwei Millionen Toten, die als morbide Vorbilder in Ehre gehalten wurden - davon Mayer eben als der Erste galt. Was für eine Ehre!

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wurde der Autor - Adolf Hitler - weiß getüncht und verschwand aus dem Bilde. MAYERS ERDE verblieb vor Ort im nationalen Kontext der heimatlichen Gedächtnisstätte zurück, bis man in den 1970er dann doch den Veränderungen der Zeit folgte und mit dem Umbau begann.

Friedhofskappelle Enger, reinszeniert 2014

Die Vitrine stand noch am selben Ort und im Bodenfilz befanden sich noch die Spuren der Aufstellung des Gedenktryptichons für Albert Mayer

MAYERS ERDE wurde neben dem Totenbuch für die Gefallenen aus dem Amt Enger in der örtlichen Friedhofskapelle abgestellt, bevor sie in den 1990ern dort von Regine Krull entdeckt wurde und zunächst im Magazin des Widukind Museums verschwand.
Im Jahr 2006 wurde MAYERS ERDE im Neubau des Widukind Museums in einem "Giftschrank" der NS Geschichte zu einem Museums Exponat zur Verdeutlichung der NS Vergangenheit.
Aus einer nationalsozialistischen heiligen Erd-Reliquie war kapellentaugliche Ehrenerde geworden, danach ein Staubfänger im Magazin, um endlich als didaktische Erde einen Einblick in das Denken im Dritten Reich zu verbildlichen.

Albert Mayer selbst hatte nie jemand gefragt (- und auch fragen können), was mit seiner Erde geschehen kann und soll. Er war kein Nazi und konnte 1914 auch noch keiner sein - er war einfach nur das erste tragische Opfer eines sinnlosen Massenschlachten, welches man wahlweise Grand Guerre, Great War oder auch einfach Erster Weltkrieg nennt.

Der Magdeburger Albert Mayer hat nichts mit Enger und noch viel weniger mit Widukind zu tun.
Seine Erde wurde zu unterschiedlichen Zeiten zu unterschiedlichen Zwecken verwendet - sein Andenken, sein Tod, seine Erde wurde mir im Jahr 2010 zum Anlaß des Projektes MAYERS ERDE mit dem Ziel 100 Jahre nach seinem Tod seine Grabruhe wiederherzustellen.

Es geht mir dabei um den Menschen Albert Mayer, dem ich in einer stillen Geste
in Abwesenheit von Uniformen und politischen Gedenkrednern, ohne Musik und ohne religiösem Zeremoniell seine Erde in der örtlichen Stille seiner Grabstätte in Illfurth an einem Augusttag 100 Jahre nach seinem tragischen Tod zurückgeben werde.

Erdentnahme aus dem Widukind Museum in Enger
Seit dem 12. Juli 2014 hat MAYERS ERDE ihre letzte Reise angetreten, die vom Museum in Enger zu seinem Grab führen wird. Jetzt ruht die Erde in einem Karton im gepackten Wagen, der heute nacht nach Frankreich fahren wird.

Dort hatte Albert Mayer noch vor seinem Tod  Jules André Peugeot erschossen und war damit nicht nur auf illegaler Patroullie gefallen, sondern zugleich zum Mörder an dem ersten französischen Toten des Grande Guerre geworden.

Dieser Umstand bewirkte eine besondere französische Erinnerungskultur, über die ich in den folgenden Blogeinträgen nach der Überbringung der Erde an dieser Stelle mit seinen besonderen Bezügen zu der Erdrückgabe berichten werde.


Ruppe Koselleck, am 22. Mai 2014
im Projekt MAYERS ERDE


MAYERS ERDE ist ein Kooperationsprojekt des Onlinepromoventen mit der Universität Osnabrück, Prof. Dr. Andreas Brenne,  dem Widukind Museum Enger sowie Remember 1914-1918

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