Dieser Blog erzählt die Geschichte von drei Handvoll Erde und und ihrer Reise durch ein Jahrhundert.

Samstag, 28. Dezember 2013

Szenen einer Bodenanalyse

Im Projekt MAYERS ERDE untersuche ich den Umgang mit historischen Graberden am Beispiel der Erde von Albert Mayer - dem ersten Gefallenen Deutschen Soldaten von 1914. Der Leutnant zu Pferde war am 2. August 1914 und damit ein Tag vor Kriegsausbruch auf einem Patrouillienritt in Joncherey / Delle zu Tode gekommen. Vorher hatte er Jules-André Peugeot erschossen - den ersten französischen Toten des ersten Weltkrieges. Der Umgang mit den beiden ersten Toten des Krieges ist in Deutschland und Frankreich sehr unterschiedlich - der aktuelle Bezug zu beiden bis heute verschieden.

Historisches Holzschild der Widukind Gedächstnisstätte
Ziel meines Projektes ist die Rückführung von Albert Mayers Graberde zu seinem Grab, um die Ge- und Mißbrauchsgeschichte rund um seine Graberde 100 Jahre nach seinem Tod zu beenden. Nachdem im Jahr 1937 mit Genehmigung der französichen Friedhofsverwaltung drei Handvoll Erde vom Einzelgrab 944 entnommen worden waren, wurde daraus eine Blut-und-Boden Reliquie, die in der Widukind Gedächtnisstätte in Enger zur Verehrung gezeigt wurden. Nicht nur dass Albert Mayer wenig bis gar nichts mit dem sagenhaften Sachsenkrieger Widukind und seinem Kampf gegen Karl den Großen zu tun hat, es besteht schlechterdings kein erkennbarer Bezug zu Enger. (Albert Mayer ist gebürtiger Magdeburger und fällt in Joncherey / Frankreich).

Mayers Erde in der Widukind Gedächtnisstätte.
(Des Gedenktryptichon für Albert Mayer ist verschlossen
und hängt unter der vergitterten Graberde.)
Foto: Widukind Museum
Albert Mayers Graberde wird im diffusen Kontext einer kruden NS-Ideologie auratisch verbrämt und es wird ein heroischer Zusammenhang im Kampf gegen Frankreich konstruiert. Eine Linie von Widukind (um 800) zu Mayer (1914) wird gezogen und dabei dem "germanischen Widerstand und heroischen Kampf" gegen den "Erbfeind" Frankreich gehuldigt.

Schon 1939 gilt allerdings Charlemagne als Karl der Große und Widukinds Ruhm verblaßt vor dem "germanisierten" Karl - die Bedeutung der Kult und Gedächtnisstätte um Widukind in Enger verliert dabei an Bedeutung.

Albert Mayers Graberde resp. seine Blut-und-Boden Reliquie geraten allmählich in Vergessenheit, wenn gleich während des zweiten Weltkrieges zu den Öffnungszeiten der Widukind Gedächtnisstätte das Totenbuch der Opfer des ersten Weltkrieges zu den jeweiligen Jahrestagen geöffnet wird und man der Toten gedenkt - immer mit Blick auf ein offenes Tongefäß mit drei Handvoll Erde von Mayers Grab. Darunter ein Gedenktryptichon für den allerersten Toten von 1914.

Dass dabei Graberde den Status von heiliger Erde hat, ist den Zeitgenossen der 30er/40er Jahre ein Begriff. Ein Zeitzeuge berichtete mir, wie er damals als Junge durch die Gedächtnisstätte Gruppen ("für einen Groschen") führte und eigens auf das offene Tongefäß hiwies. Nur unbestimmt wußte der Zeitzeuge von seinem persönlichen Bezug zur Erde zu berichten - "da war irgendwas dran, an der Erde, irgendwas ging davon aus".



In meiner grundlegenden ersten Annäherung an diese Erden, war die Frage der Echtheit der "heiligen" Graberde. Nach Quellenlage beanspruchen die Erden nur den Status der Graberde und enthalten damit nicht Knochenteilen oder Überresten des Toten selsbt. Aber was ist dann dran an oder drin in dieser Erde? Eine Art Aura der dokumentierte Echtheit - eine diffuse Verbindung mit dem "verlorenen" Boden im Elsaß?

Heilige Erden werden beispielsweise auch aus Verdun von den Schlachtfeldern überliefert, dort wo sie blutdurchtränkt ist und von Körperteilen der 700.000 dort gefallenen und zerfetzten Menschen nicht zu trennen ist. Solche Erde gelten bis heute als heilig - und finden sich teilweise in Denkmalssockeln begraben und folgen einer auratischen Strategie der Erinnerung, die durch echte, heilige, blutgetränkte Erden unsichtbar angereichert werden.

Grundsätzlich kann man natürlich solche Erden fälschen und es wäre nicht die erste "Reliquie" im Bereich auratischer Kulte, die "unecht", gefälscht oder verunreinigt, gestreckt etc. sein könnte. Würde "falsche" Erde anders wirken als echt angenommene?

Nachdem ich im März 2013 eine Bodenprobe mit dem Pürkhauer aus der unmittelbaren Friedhofsumgebung genommen hatte, ließen sich die mineralogischen Verwandschaften der Illfurther Erde mit der Erde aus Enger untersuchen. Ich wollte damit ausschliessen, dass man einfach nur Erde aus der Engeraner Nachbarschaft, dem Wiehengebirge oder dem Teutoburger Wald genommen hatte.

Für meinen Plan einer stillen Geste, mit der ich dem Menschen Albert Mayer seine Graberde zurückbringen will, war es relevant festzustellen, ob es sich überhaupt um "seine" Erde handelt, die bis heute noch im Widukind Museum in Enger in einem Regal zwischen NS Relikten der alten Gedächtnisstätte ausgestellt ist.

Mayers Erde im offenen Tontopf
Mayers Erde im Regal, hinter Gittern.
Wenn man nun also unvermittelt vor einem offenen Tontopf voller Erde steht, so ist fraglich, was das bei dem Betrachter auslöst.

Ohne der Information eher gar nichts, was über die grau-braune Erderkenntnis hinaus geht.

Mittels Informationen und musealisierter Kontextualisierung baut sich dann möglicherweise so etwas wie eine Aura auf. Doch was strahlt da? Die alten Zeit? - Achselzucken. Der tote Albert Mayer selbst? Der erste und sogar der zweite Weltkrieg? Und kann man eine alte Blut-und-Boden Reliquie ent-auratisieren? Wie sollte man das anstellen, nachdem ich nun belegen kann, dass diese Anhäufung von drei Handvoll Graberde mit hoher Wahrscheinlich ein Stück Illfurth - ein Stück Elsaß - ein Stück Frankreich ist?

Nimmt während des wissenschaftlichen Vergleichs der Bodenproben die "mögliche" Aura einen Schaden? Oder entsteht durch den Pulver-defraktometer mit seiner radiologisch-mineralogischen Untersuchung (resp. der Durchleuchtung) eine neue quasi rationalistische Aura? Fügte diese Untersuchung dem Friedhofsstempel von 1937 einen neuen radioaktiven Echtheitsstempel hinzu? Erleuchtung durch Durchleuchtung? Im Kontext meiner auratischen Forschungen um die Aura der Graberde  im "Duft" des "Authentisch Echten" entstanden dabei neue Bilder und  Zuweisungen, die im Prozeß der künstlerischen Forschung zu dem oben vorgestellten Video mündeten.

Stempel der Friedhofsverwaltung von Illfurth 1937
und Unterschriften zur Beglaubigung der Echtheit.
Erdproben im Labor
Friedhof Illfurth 2013 und
Mayers Erde, Enger 1937, auch Iffurth?


Dem vorläufigen Stand meiner ONLINEPROMOTION um Mayers Erde.

Für die wertvolle Zusammenarbeit mit Dr. Markus Bertling und Peter Schmid-Beurmann vom Institut für Mineralogie an der Westfälischen Wilhelms Universität, ohne die es nicht zu den hier aufgeführten Ergebnissen kommen konnte, sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt.

Kommentare oder Hinweise und Einschätzungen zum Promotionsprozeß sind herzlich willkommen und auf den Plattformen auf Youtube, diesem Blog oder auf Facebook möglich.

Vielen Dank für Ihr Interesse.

Ruppe Koselleck
für MAYERS ERDE

MAYERS ERDE ist ein Kooperationsprojekt des Onlinepromoventen mit der Universität Osnabrück, Prof. Dr. Andreas Brenne, dem Widukind Gymnasium, dem Widukind Museum Enger sowie Remember 1914-1918

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